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Theater Interval

Schräge Vögel aus fremden Ländern

Nach der Ursonate von Kurt Schwitters

mit Democco Atcher, Francois Baldassare, Bettine Beer, Rubén Bravo, Maria Gundolf,
Wilhelmine Horschig, Isabella Lewandowski, Rebecca Shein, Nickolai Todorov, Ralph Ufer

Regie: Stephanie Hecht

Kostüme: Gabriel Hermida | Licht: Robert Wolf | Musik: Stefan Streich | Photos: Daniela Incoronato

Auff[hrungen: 10.-12. Mai 2006 Werkstatt der Kulturen Berlin


Video:  
http://vimeo.com/14027031

Das Theater Interval ist ein internationales Ensemble. Die daraus resultierende, spezielle Art der internen Kommunikation war der Boden, auf dem die Idee entstand Schwitter’s Ursonate als babylonisches Sprachgewirr mit dem Titel „Schräge Vögel aus fremden Ländern“ zu inszenieren.

Ausgangsmaterial für das Bühnenstück „Schräge Vögel aus fremden Ländern“ bildet die „Ursonate“ von Kurt Schwitters, eines der frühesten und umfangreichsten Lautgedichte, das Schwitters zwischen 1921 und 1932 verfasste und mit dem Titel „sonate in urlauten“ versah.

Fümms bö wö tää zää Uu, pögiff, kwii Ee.
Dedesnn nn rrrr, Ii Ee, mpiff tillff too, tillll, Jüü Kaa?
Rinnzekete bee bee nnz krr müü?
Ziiuu ennze, ziiuu rinnzkrrmüü,
Rakete bee bee.
Rrummpff tillff toooo?

Ziel des Stückes ist es die Schönheit und Vielfalt unterschiedlicher Kulturen ebenso zu zeigen, wie das allen Menschen Gemeinsame. Alle Menschen sind gleich und gleichzeitig ist jeder Mensch vollkommen einzigartig. In diesem Spannungsfeld liegt eine große Bandbreite von Spielmöglichkeiten. Diese auszuloten bildet einen wesentlichen Schwerpunkt der Inszenierung.

In diesem Sinne wird die „Urlaut-Sprache“ von Kurt Schwitters einerseits so inszeniert werden, dass die Charaktere einander verstehen, und andererseits so, dass sie einander nicht verstehen. Der Zuschauer jedoch kann sich aus dem Wissen heraus, dass es auch gar nichts zu verstehen gibt, weil die Worte keine Inhalte transportieren, da es sich ganz offensichtlich um eine Phantasiesprache, um ein Lautgedicht handelt, auf alle nicht-semantischen Informationen konzentrieren. Das heißt alle anderen Elemente menschlicher Kommunikation wie Klang, Duktus, Druck, Lautstärke, Wiederholung, Mimik, Körpersprache – all jene Elemente, die auch in der heutigen zwischenmenschlichen Kommunikation durchaus eine wichtige Rolle spielen, aber denen keine bewußte Aufmerksamkeit geschenkt wird, außer: Man ist fremd.

Wenn man eine Sprache nicht versteht, dann werden diese Elemente der Kommunikation plötzlich ganz wichtig. Als Fremder versucht man diese dann zu interpretieren, zu kopieren und zu verstärken.

Durch die verschiedenen Akzente der Schauspieler und ihre unterschiedlichen Körpersprachen werden Mentalitäten verschiedenster Kulturkreise herauskristallisiert. Diese Unterschiedlichkeiten werden in der Inszenierung konterkariert mit Situationen, in denen diese wiederum absolut keine Rolle mehr spielen. Situationen, in denen die Gemeinsamkeiten der Menschen in Energie und Zielrichtung alle kulturellen Unterschiede in den Hintergrund treten lassen, bzw. völlig in Vergessenheit geraten lassen.

Neben kulturellen Unterschieden und allgemeinmenschlichen Gemeinsamkeiten bilden charakterliche Besonderheiten der einzelnen Figuren eine dritte Komponente. Der Geizkragen aus Kolumbien agiert vielleicht völlig anders als der Geizkragen aus Deutschland, aber hergeben wollen beide nichts – und der Held aus Polen unterscheidet sich vielleicht in vielem vom Helden aus den USA, aber wenn ein Held gefragt ist, werden es wohl die beiden sein, die sich zur Stelle melden.

Es soll hierbei allerdings keineswegs eine lineare Geschichte erzählt werden, sondern es werden menschliche Grundsituationen beleuchtet und variiert. Die Handlung wird dabei von energetischen und rhythmischen Gesetzen vorangetrieben, wie sie bereits durch die von Schwitters vorgenommene Anordnung in Form einer musikalischen Komposition und zwar einer Sonate, angelegt sind.

Arbeitsweise

Fließend werden sich die Schauspieler zwischen Tanztheater, Konzert und Sprechtheater hin und her bewegen.

Mit der Methode der Filmkünstlerin Catherine Sullivan werden zu Beginn der Probenzeit die unterschiedlichen Charaktere entwickelt. Das heißt die Schauspieler entwickeln nach bestimmten Aufgabenstellungen wiederholbare Haltungen, die sie durch ständige Wiederholung verinnerlichen und aus deren Summe dann die jeweiligen Figuren entstehen.

Dies ist die Basis. Das sind die Grundcharaktere, die nur aus eigenem Schauspielermaterial bestehen, das heißt von innen heraus kommen und nicht durch das Imitieren Anderer entstehen.

In einem nächsten Arbeitsschritt wird dann das eigene, sprachlich vielfältige Material der Schauspieler durch Worte aus der Ursonate ersetzt. Da das wiederholbare Haltungsmaterial rhythmisiert werden kann und mit den Worten der Ursonate nun gekoppelt ist, können diese Kombinationen wiederum rhythmisiert werden. Ein Wort aus der Ursonate kann mit vielen verschiedenen Haltungen kombiniert und je nachdem eine andere Bedeutung, einen anderen Schwerpunkt setzen. Es können alle Schauspieler ein bestimmtes „Laut-Wort“ mit der gleichen Bedeutung füllen, oder jeder Einzelne mit einer anderen. Gleichzeitig werden sie sich immer durch die unterschiedlichen Akzente der Schauspieler voneinander unterscheiden. Hier liegt eine große Vielfalt an Möglichkeiten.

Auf dieser Grundlage werden dann die chorischen Passagen unter der Leitung des Komponisten Stefan Streich mit dem Ensemble erarbeitet. Von Ihm stammt auch die Bühnenmusik.

Das von den Schauspielern entwickelte Bewegungsmaterial wird ebenso rhythmisiert und choreographiert. Ein besonderer Schwerpunkt wird hierbei der Wechsel von Nähe und Distanz sein, sowie die Bildung und Auflösung von Gruppen und Gruppierungen. Die Choreographien werden einmal ganz offensichtlich Tanz sein, aber dann auch wieder ganz subtil, so dass die Schauspieler sich geradezu spontan zu bewegen scheinen.

Bühnenbild und Kostüme des mexikanischen Bühnen- und Kostümbildner Gabriel Alejandro Hermida werden das Grundmuster der Inszenierung von Homogenität und gleichzeitiger extremer Heterogenität des Ensembles unterstützen.

Das Lichtkonzept von Robert Wolf zielt darauf ab Lichträume zu erschaffen, so dass die Bühne sich in immer neue Landschaften und Stimmungswelten verwandelt.